Geschichte der Mundharmonika
Bei der Mundharmonika werden die Töne durch durchschlagende Zungen erzeugt.
Dieses Prinzip findet seine Anwendung auch bei der Maultrommel und seit Jahrhunderten bei asiatischen Instrumenten wie dem chinesischen Scheng. Ende des 18. Jahrhunderts wurden Orgelbauer in Europa darauf aufmerksam.
Die ersten europäischen Mundharmonikas wurden zunächst noch nicht als Instrumente, sondern als Stimmpfeifen verwendet.
Die Erfindung der Mundharmonika als Melodieinstrument wurde unterschiedlichen Personen zugeschrieben; etwa dem Instrumentenbauer Christian Friedrich Buschmann oder dem Knittlinger Ignaz Hotz. Es mag auch sein, dass diese Idee der Tonerzeugung, die Anfang des 19. Jahrhunderts sozusagen "in der Luft lag" von verschiedenen Instrumentenbauern aufgegriffen wurde. Bei Orgelbauern wurden Instrumente mit durchschlagenden Zungen wohl zuerst als Stimmpfeifen verwendet.
Nach allem, was sich heute historisch nachweisen lässt, stammt die Mundharmonika, wie wir sie kennen, jedoch aus Wien. Sie wurde dort nachweislich bereits um 1825 von Wilhelm Thie hergestellt. Noch heute werden die Tremolo- und Oktavmodelle mit den kleinen Doppelkanzellen als "Wiener Modelle" bezeichnet.
Nach Trossingen kam die Mundharmonika (vermutlich über die Handelswege entlang der Donau) um 1827, wo als erster Christian Messner die Produktion aufnahm.
Die Firma Friedrich Hotz in Knittlingen gibt als Gründungsdatum das Jahr 1828 an.
In Klingenthal produzierte ab 1829 Johann Wilhelm Rudolph Glier Mundharmonikas und legte so den Grundstein für die Klingenthaler Mundharmonika-Industrie.
Man sieht an diesen Jahresangaben, wie das kleine Instrument innerhalb kürzester Zeit populär wurde.
Instrumentenkunde
Die verschiedenen Typen von Mundharmonikas erkennt man vor allem an den unterschiedlich gestalteten Mundstücken. Diese wiederum sind verschiedenen Klang- oder Ton-Systemen und bestimmten Einsatzzwecken geschuldet. Die wichtigsten Varianten stelle ich hier kurz vor. Bilder und Infotexte lassen sich seitlich weiterscrollen.
Richter-Mundharmonika
Benannt sind diese kleinen und handlichen Mundharmonikas nach einem gewissen Joseph Richter aus Haida in Böhmen. Er hatte die Idee, jeweils einen Blas- und einen Ziehton gemeinsam in einer einzigen Kanzelle unterzubringen. Nimmt man nun z.B. die Kanzellen 1-4 (oder auch 4-7 bzw. 7-10) etwas "breiter" in den Mund, dann entsteht auf Blasen der Tonika-Akkord (zum Beispiel C-Dur), auf Ziehen erklingt der Dominant-Akkord dazu (zum Beispiel G-Dur).
Nur die mittlere Oktave (Kanzelle 4-7) enthält eine vollständige Oktave. Halbtöne gibt es auf der Richter-Mundharmonika auch nicht. Wer also z.B. zusammen mit anderen Musikinstrumenten musiziert (Gitarre, Klavier, Akkordeon), sollte für jede benötigte Tonart die entsprechende Mundharmonika dabei haben.
Geübte Spieler gleichen die fehlenden Halbtöne durch "Bending" (Biegen) aus: bei den Richtermundharmonikas ist es in den Kanälen 1-6 möglich, die Ziehtöne einen halben bis anderthalb Töne nach unten zu biegen, und bei den Kanälen 7-10 lassen sich die Blastöne auf die gleiche Weise manipulieren. Dabei wird die Mundharmonika meist in der "2. Lage" oder "cross" gespielt: Als Grundton auf einer C-Dur-Mundharmonika wird nicht der Blaston "C", sondern der Ziehton "G" als Grundton der Tonleiter betrachtet - so entsteht eine Blues-Skala in G.
Wiener Oktav-Mundharmonika
Hochwertige Mundharmonikas kamen schon in der Zeit um 1820-1830 aus Wien, z.B. aus dem Unternehmen Wilhelm Thie. Sie unterscheiden sich grundsätzlich von den Richter-Modellen dadurch, dass jede Kanzelle noch einmal durch einen Quersteg in "oben" und "unten" eingeteilt ist. Blas-und Ziehton liegen hier nicht übereinander, sondern immer nebeneinander.
Obwohl es Mundharmonika-Spieler gibt, die fast auf allen Instrumenten Töne "biegen" können, sind die Wiener Modelle dafür nicht wirklich geeignet. Insofern ist ihr Tonumfang beschränkt.
Allerdings erreichen manche Spieler auf Instrumenten der Wiener Bauart eine große Fertigkeit darin, nicht nur einstimmige Melodien, sondern dabei gleichzeitig noch eine Akkordbegleitung zu erzeugen, die dem Klang einer Handharmonika schon sehr nahe kommt: das sogenannte Spiel mit dem "Zungenschlag". Hauptsächlich kommen Mundharmonikas mit dem Wiener System vor allem bei Volksliedern, Fahrten- und Wanderliedern zum Einsatz.
Wiener Tremolo-Mundharmonika
Die Wiener Tremolo-Mundharmonikas werden genauso gespielt wie die Wiener Oktav-Modelle - nur die Klangfarbe ist eine andere. Bei der Tremolo-Mundharmonika befinden sich übereinander auf der oberen und unteren Stimmplatte derselbe Ton - auf einer Platte ist er aber um eine Kleinigkeit nach oben "verstimmt". Das Ergebnis ist der berühmte Schwebeton, den auch viele Akkordeon und Ziehharmonika-Spieler kennen und der landläufig eben "Tremolo" genannt wird.
Das Bild zeigt übrigens sogenannte "Wender"-Modelle: Diese Instrumente verfügen über zwei "verwandte Tonarten" (z.B. C-Dur und G-Dur), zwischen denen man durch einfaches Umdrehen des Instruments sehr schnell wechseln kann.
Knittlinger Oktav-Mundharmonika
In Knittlingen (Baden-Württemberg) wurden schon früh Oktav-Mundharmonikas gebaut, die sich am 10-kanaligen Richter-System orientieren: die Kanzellen sind breiter, weil jede Kanzelle je eine Zieh- und eine Blaszunge nebeneinander beherbergt. Das Intervall zwischen den Stimmzungen der oberen und der unteren Reihe wiederum liegt eine Oktave auseinander.
Leider wird dieser Typ Mundharmonikas heute meines Wissens kaum mehr gebaut - lediglich das Seydel-Oktav-Modell "Concerto" entspricht noch dieser Bauweise. Hohner-Modelle wie "Marine Band Full Concert" oder die "Auto Valve Harp" (oder wie hier die "Orchester II" und "Orchester III") sind ggf. noch in gutem Zustand oder aus alten Lagerbeständen zu erwerben.
Chromatische Mundharmonika
An der Schwelle zum 20. Jahrhundert tüftelten viele Hersteller an Systemen, mit deren Hilfe die Mundharmonika zu einem "vollwertigen" Instrument werden könnte. Als häufigste Variante haben sich Modelle mit einem seitlich angebrachten Schieber durchgesetzt. Bei einer chromatischen Mundharmonika ist eine der beiden Stimmplatten genau einen Halbton höher gestimmt als die andere (zum Beispiel in "Cis" auf einer Chromatischen in C). Wird der Schieber betätigt, erklingt der höhere der beiden Töne.
Eine "Chromatische" ist das Taschenpiano für alle Ansprüche! Sie bietet alle denkbaren Ganz- und Halbtöne. Üblich sind Modelle von einem Tonumfang von zweieinhalb bis zu vier vollen Oktaven! Weltbekannte Spieler spielen darauf Blues, Jazz und auch klassische Musik.
Begleit-Instrumente
Schon immer wurde die Mundharmonika auch im Ensemble gespielt: als Duo, Trio oder im Orchester. Dafür haben verschiedene Hersteller viele unterschiedliche Begleit-Instrumente entwickelt. Hier im Bild ist eine Hohner "Vineta" zu sehen.
Mit der Vineta ist es möglich, ähnlich der linken Hand beim Akkordeon eine einfache Bass- und Akkordbegleitung hervorzubringen. Übrigens nicht nur im Bereich der Volkslieder, auch das Blues-Schema lässt sich mit den vorhandenen Akkorden unterlegen!
Das Instrument macht Sinn, wenn zwei oder mehr Mundharmonika-Spieler zusammen musizieren. Die schmaleren Kanzellen enthalten jeweils zwei Stimmzungen mit einem Bass-Einzelton, die etwas breitere Kanzelle rechts daneben den dazugehörigen Akkord.
Leider wird dieses Modell nicht mehr neu angeboten. Gelegentlich gibt es vielleicht in Musikgeschäften noch Restbestände. Denkbar ist auch, ein noch gut erhaltenes gebrauchtes Instrument zu erwerben und nach gründlicher Reinigung zu verwenden.